Wenn Apotheken heute ein Rezept für Mounjaro entgegennehmen, beginnt damit nicht selten ein gefährlicher Balanceakt zwischen professioneller Prüfung, rechtlicher Unsicherheit und ökonomischem Risiko. Der GLP-1-Rezeptoragonist, ursprünglich zur Behandlung von Typ-2-Diabetes entwickelt und zunehmend für off-label-Zwecke missbraucht, ist zum Magneten für Rezeptbetrüger geworden. Deutschlandweit häufen sich die Fälle manipulativ perfektionierter Fälschungen, bei denen nicht nur Namen und Stempel täuschend echt wirken, sondern oft sogar Praxisanschriften, Formatierungen und Drucktechniken aus realen Vorlagen übernommen werden. Die klassische Rezeptprüfung reicht dabei längst nicht mehr aus – das System verlangt mehr, als es selbst zur Verfügung stellt.
Betroffen sind nicht etwa nur Großbetriebe oder Apothekenketten, sondern gerade inhabergeführte Apotheken, deren Abläufe stark auf Vertrauen und Routine beruhen. Dass viele Fälschungen erst Wochen später bei der Abrechnung auffallen, ist kein Zufall, sondern Ausdruck einer systemischen Blindstelle: Es existieren weder zentrale Prüfstellen noch sofortige Rückmeldemechanismen bei Auffälligkeiten. Inzwischen sind es nicht mehr nur Einzelpersonen, die gefälschte Verordnungen vorlegen – ganze Täternetzwerke scheinen gezielt Apotheken auszuwählen, die keine technischen Prüfmittel einsetzen oder stark ausgelastet sind.
Die Folgen sind dramatisch: Hat eine Apotheke ein Medikament wie Mounjaro auf Basis eines gefälschten Rezepts abgegeben, erfolgt die Retaxation durch die Krankenkasse meist ohne weitere Rücksichtnahme. Das heißt: Die Kasse verweigert die Erstattung, obwohl die Apotheke im Vertrauen auf die Echtheit der Verordnung gehandelt hat. Der wirtschaftliche Schaden ist erheblich – denn der Einkaufspreis für ein GLP-1-Präparat liegt oft im dreistelligen Bereich. Hinzu kommt das juristische Risiko: Die Prüfung, ob ein vermeintlich formaler Fehler nicht doch als Fahrlässigkeit gewertet wird, führt in der Praxis oft zu belastenden Einzelfallentscheidungen – mit ungewissem Ausgang für die Betroffenen.
Ein zentrales Problem ist die Rechtslage selbst. Zwar verpflichtet das Apothekenrecht zur sorgfältigen Prüfung von Verordnungen, doch bleibt weitgehend offen, welche Kriterien dabei anzulegen sind. Ist der fehlende Telefonanruf beim Arzt schon ein Verstoß? Reicht die visuelle Prüfung der Rezeptmerkmale aus? Müssen Mitarbeiter speziell geschult oder regelmäßig getestet werden? Diese Unklarheiten begünstigen nicht nur juristische Grauzonen, sie eröffnen auch Versicherern die Möglichkeit, sich bei der Regulierung von Schäden auf formale Lücken zu berufen.
Denn auch wenn viele Apotheken inzwischen über sogenannte Retax-Versicherungen oder Vermögensschadenhaftpflicht verfügen, zeigt sich in der Praxis: Der Schutz ist begrenzt. Versicherungen fordern umfassende Nachweise – darunter lückenlose Dokumentationen, standardisierte Prüfverfahren, Schulungskonzepte und eine sorgfältige Protokollführung bei jedem Verdachtsmoment. Wer diese Anforderungen im laufenden Betrieb nicht erfüllt, läuft Gefahr, leer auszugehen. Besonders problematisch sind Ausschlussklauseln, die bestimmte Wirkstoffgruppen oder Rezeptarten vom Schutz ausnehmen – oftmals ohne dass dies Apotheken überhaupt bewusst ist.
Zudem ist der Markt für solche Policen komplex und intransparent. Einige Anbieter verlangen hohe Selbstbeteiligungen, andere lehnen die Deckung bei wiederholten Schadensfällen ab. In dieser Gemengelage ist es für viele Apotheken kaum möglich, einen tatsächlichen Risikotransfer zu erreichen. Der Versicherungsschutz funktioniert – wenn überhaupt – nur als Ergänzung, nicht als Absicherung gegen das strukturelle Problem.
Dabei bleibt das digitale Rezeptwesen, das viele als Hoffnungsträger sehen, bislang weit hinter seinen Versprechen zurück. Das E-Rezept ist weder durchgängig implementiert noch fälschungssicher. Besonders bei Ausnahmesituationen wie BtM-Rezepten, Rezepturen, Heimbelieferungen oder Botendiensten bleibt das Papierrezept Standard. Und genau hier setzen Fälscher an. Die Erwartung, dass Digitalisierung automatisch Sicherheit schafft, ist eine Illusion – solange technische und rechtliche Standards nicht konsequent durchgesetzt werden.
Ein wirksames Risikomanagement in der Apotheke setzt daher auf ein ganzes Bündel von Maßnahmen: Schulungen zur Fälschungserkennung, klare Prozessanweisungen für das Vier-Augen-Prinzip bei Hochrisiko-Rezepten, die konsequente Dokumentation von Auffälligkeiten sowie standardisierte Rückrufverfahren bei Arztpraxen. Auch der regelmäßige Check der Versicherungsverträge gehört dazu – inklusive rechtlicher Beratung, um Ausschlüsse und Auflagen zu identifizieren.
Und dennoch bleibt ein bitterer Befund: Die Verantwortung wird zunehmend verlagert – von der staatlichen Regulierung hin zum einzelnen Betrieb. Die Apotheke soll prüfen, sichern, melden, dokumentieren und gleichzeitig versorgen – ohne dass ihr dafür die notwendige rechtliche oder technische Infrastruktur zur Verfügung gestellt wird. Das ist nicht nur betriebswirtschaftlich unverantwortlich, sondern auch gesellschaftlich gefährlich.
Denn wo Apotheken aus Angst vor Haftung weniger abgeben oder übervorsichtig werden, drohen Versorgungslücken. Wenn sich Inhaber aus der Verantwortung stehlen wollen oder können – durch Verkauf, Schließung oder Verzicht – dann ist nicht nur ein Betrieb betroffen, sondern ein Teil der flächendeckenden Arzneimittelversorgung. Die Politik schweigt – und überlässt den Apotheken das Risiko.